4W

Was war. Was wird.

Eine ungerechte Welt ist das, weiß jeder Freiburger. Manch neuentdeckter Heuschreckenschwarm aber hat gerade mal Krokodilstränen verdient, auch am Kampftag der Arbeiterklasse selig, meint Hal Faber, verzweifelt nach weiteren Erikativen suchend.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 297 Kommentare lesen
Lesezeit: 11 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Diese Wochenschau hier, ich muss es aus gegebenen Anlass betonen, ist kein Blog. Oder, wie es ein geschätzter Kollege in Anlehnung an Magritte gerne betont: Ceci n'est pas un blog. Das hier ist ganz normaler Journalismus oder, um endlich zum Thema zu kommen, härtester Profi-Sex. Ich kann als käuflich Schreibender wohl nicht darüber befinden, ob dieser Sex besser ist als der Amateur-Sex (ich bilde es mir ein), ich kann darauf hinweisen, dass Profi-Sex ganz anderen Produktionsbedingungen unterliegt. Ein Amateur-Texter darf in seinem Blog ruhig wie ein anderer geschätzter Kollege in jungen Jahren Internet-Urgestein schreiben, ein Profi-Sexsteller sollte mindestens sofort sterben gehen, wenn ihm ein solcher Begriff keinen Würgereiz bereitet. Bei der "pfiffigen Benutzeroberfläche" oder dem grottendummen Gesülze von einer "Softwareschmiede" würde ich sogar für den elektrischen Stuhl votieren, doch leider, leider ist der Sündenfall passiert und der Name in der Welt, wenn ganzheitlich orientierte Firmen so heißen dürfen, ohne dass subito ein Blitz in ihr System schlägt.

*** Nein, hier hilft kein verklärender Gerburtstagsblick auf Kisch, kein Kischograf. Der Profi-Sexberater Duden bringt es auf den Punkt: Für unsere Kunden, die Leser, sind wir Journalisten, ob wir nun online oder offline schreiben, ganz gewöhnliche Abwichshuren. Dementsprechend ist der Profi-Sex ein hartes Geschäft und vom täglich wartenden Sarg ist schon das erste Brett vor den Kopf genagelt. Nun gibt es freilich den Sonderfall der Journalisten, die überdies noch als Prostituierte arbeiten, also gewissermaßen Profi-Profi-Sex bieten: James Guckert a.k.a. Jeff Gannon gehört zu dieser Kategorie. Dafür durfte er mehrmals im Weißen Haus der Amerikaner übernachten. So werden nicht nur die Leser gefickt. Wenn wir Profis Hand anlegen, dann wird manches hart und härter, bis es am Ende als Anker zu gebrauchen ist. Wie sinnierte noch der große bajuwarischer Strukturreaktionär Edmund Stoiber so wunderschön in dieser Woche: "Die Unendlichkeit des Internet macht uns die Endlichkeit von Wahrheit bewusst. Die Zeitung dagegen ist ein Anker in der Informationsflut für den Leser." Endliche Wahrheit, jeden Tag neu & frisch & anders, ja genau das verkaufen wir Sex-Profis und nennen es dann den unbefleckten Journalismus.

*** Krokodilstränen sind üble Fleckmacher. Bei diesen Tröpfchen, die hungrige Profi-Krokodile abdrücken, damit Kinder kommen und sie streicheln, weint eigentlich jeder Journalist. Joschka Fischer gebührt die Ehre, sie fest im deutschen Sprachgebrauch verankert zu haben: "Ich lasse ungern ein Krokodil weinen", das hat etwas. Bleibt die Frage, ob der lavierende Joschka dennoch unser Bruder ist oder nur ein Ganzkörper-Vorsteher beim Auswärtigen Amt.

*** "Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern, in keiner Not uns waschen und Gefahr": Wer der deutschen Sprache keine Krokodilsträne nachweint, dem müssen sie bei der Nachricht heiß in Strömen fließen, dass die Fuchsmutter aller Entensprüche nicht mehr da ist. Weit weg ist ihre Wolke und die Söhne der Unvernunft blättern ratlos im Pfadfinderhandbüchlein nach der tröstenden Stelle. Jeder deutsche Elektroniker kennt die uralte entologische Weisheit vom Ingenör, dem nichts zu schwör ist. Und wenn erst alle Erikative, schneuz, in der Wikipedia stehen, werden wir wissen, dass es gut war, in einer Zeit gelebt zu haben, in der Donald Duck auch für Erwachsene lesbar war. Jedes *grummel*, jeder *kopfandiewandklatsch* und auch noch das schwungvolle *fischherüberreich* steht in der Tradition der großen Übersetzerin. Wir verbeugen uns mit schwarzem Trauerpürzel. Gestorben ist auch der große Physiker Phil Morrison, der bei der NASA das Projekt SETI@home angestoßen hat. Phil war der Jüngste unter den Vätern der Atombombe. Mit seiner Kritik am Krieg wurde Morrison im 5-Jahres-Zyklus verdächtigt, Spion der Russen und anderer Amerikafeinde zu sein. Das letzte Mal wurde Morrison im Jahre 2000 rehabilitiert -- für fünf Jahre, wie er damals witzelte. Nun wird er sich nicht mehr wehren können. Unter den Toten der Woche müssen wir auch Hasil Adkins bejammern, die größte One-Man-Band des Rock'n Roll. Sein Hunch lebt in einem komischen Linux-Tanz weiter, der in Belgien getanzt wird.

*** Ach ja, die Welt ist ungerecht, nicht nur zu Physikern: Der SC Freiburg steigt ab und die Bayern sind wieder mal deutscher Fußballmeister. Die Welt ist ungerecht, ach ja. Ist die Welt wirklich ungerecht? Ach, wenn es um wichtigere Dinge geht, dann vielleicht doch nicht immer. Das mag sich so mancher Vietnamese dieser Tage gedacht haben während all der Feierlichkeiten zum dreißigsten Jahrestags des Siegs über den Papiertiger. Die Vietnamesen aber haben ihre mehr oder weniger großen eigenen Probleme mit der Zeit nach diesem Sieg. Denn die Welt ist immer noch ungerecht, bevölkert von Heuschreckenschwärmen und Raubtieren, die auch in Vietnam wieder einfallen -- ohne dass etwa die hausgemachten Probleme mit so nebensächlichen Dingen wie den Menschenrechten erledigt wären. Wieder einmal gilt es, eine der berühmteren Stellen im Kapital gegen die Epigonen der Kapitalismuskritik anzuführen: "Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. Zehn Prozent sicher, und man kann es überall anwenden; 20 Prozent, es wird lebhaft; 50 Prozent, positiv waghalsig; für 100 Prozent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; 300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf Gefahr des Galgens", zitiert Marx zustimmend. Seltsamerweise scheinen sich hierzulande die Sozialdemokraten auch 30 Jahre nach dem Ende des Vietnamkriegs und fast 140 Jahre nach Marxens berühmtestem Werk verblüfft die Augen zu reiben, da sie entdecken, dass die Papiertiger in ihren diversen Ausprägungen noch nicht ausgestorben sind. Es sei ihnen aber keinesfalls gegönnt, mit dem Popanz vom räuberischen Hedge-Fonds-Manager und Investment-Kapitalisten die Hartz-IV-Katastrophe vergessen zu lassen. Remember when you were young? Ach je, da waren die Floyd aber auch schon ganz schön alt. Nur Müntefering scheint heute genauso verwirrt wie Syd Barrett zu Zeiten, als die Floyd ihn höchstens noch besangen.

*** Ja, manchmal muss auch der lästerndste Profi mit dem Geflunker aufhören, den Handbetrieb einstellen und ernst werden. Die Zeiten sind manchmal so. In dieser Woche wurde der mit 10.000 Euro dotierte Herbert Riehl-Heyse-Preis verliehen; der erste Preis ging an einen Artikel über den real existierenden Kapitalismus, in dem bekanntlich Eigentum verpflichtet. Wozu es denn verpflichtet, das ist allerdings nirgendwo klar festgelegt. Ich möchte heute auf die Gegenthese hinweisen: Eigentumslosigkeit verpflichtet zur Ehrlichkeit. Die Sozialdemokratie, die gerade müntisch über die Heuschreckenschwärme der internationalen Finanziers keift und wahltaktisch die Raubtierkapitalisten anbellt, hat mit Unterstützung der Joschkana-Fraktion mit Hartz IV ein Sozialabbröckelungs-System auf die Beine gestellt, das in seiner Kälte seinesgleichen sucht. Die "Soziale Marktwirtschaft", ein altes BRD-Wort, wird in Windeseile zerlegt, während Peter Hartz, der Erfinder, leichthin erklärt, wie 30.000 raus mussten, so ist das eben.

*** Wer draußen ist, dem wird nichts gegeben, bis er nicht das letzte bisschen Eigentum deklariert hat. In einem WWWW habe ich Ende 2004 geschrieben, dass ein arbeitsloses Mitglied der heise-Community namens Twister Probleme mit der Bundesagentur für Arbeit hat, weil sie mit ihren Sabrina-Arbeiten für Telepolis einer unzulässigen Arbeit nachgegangen ist. Twister wurde dazu aufgefordert 673,50 Euro Honorar für Telepolis-Geschichten zurückzuzahlen. Doch damit nicht genug. Es erging inzwischen zusätzlich eine Betrugs-Anzeige, offensichtlich ebenfalls von der Bundesagentur für Arbeit, und die Staatsanwaltschaft Bonn erwirkte einen Strafbefehl über 50 Tagessätze zu 20 Euro. Warum ein Betrug vorliegt, darüber gibt es nur die Auskunft, dass die "Arbeitsaufnahme beim Heise-Verlag" nicht gemeldet wurde. Angesichts der Tatsache, dass Telepolis keine Honorare zahlt, von denen ein Profi-Journalist leben kann, dass die Summen selbst unter den Einnahmen liegen, die Blogger mit ihrer zugeschalteten Werbung verdienen, bleibt nur eines festzuhalten: Hier soll eine mittellose Kritikerin zum Schweigen gebracht werden. Ich rufe daher zu einer Spendenaktion für Twister auf, ich würde vorschlagen, unter dem Stichwort "Twister" beim Spendenkonto von Stop 1984. Überschüsse sollen bei dieser Initiative bleiben. Über jede Spende, die den doppelten Tagessatz überschreitet, blogge ich persönlich, denn auch der Amateur-Sex will ausprobiert werden. Den Kommentatoren und Torinnen, die wie bei letzten WWWW sich über das Trara um Twister beschwerten und mich ob meiner Parteilichkeit teeren und federn wollten, erkläre ich vorab, dass sie mich mal ...

Was wird.

Natürlich ist heute der Kampftag der Arbeiterklasse. Heraus zum 1. Mai, Prolet? Heute vor 40 Jahren sang Franz-Josef Degenhardt seinen Feierabend-Song, ein ganz entzückendes Gewerkschaftslied gegen RFID-Chips in Reisepässen:

Schließ die Fensterläden.
Bring mir das MG.
Zapf ein Kännchen
Schnaps vom Fass.
Schlaf bei unseren Kindern.
Küss mich und dann geh.
Halt -- verbrenn noch
den Familienpass.

Etwas weiter runter die Woche gibt es am 3. den Tag der Pressefreihiet und damit nichts zum Feiern. Fast täglich werden Journalisten verhaftet und viel zu viele sterben. Schließlich gilt es, den 8. Mai zu überleben, an dem Deutschland nach Ansicht der Deutschen das größte Opfer brachte und kapitulierte. Wer diesen Unsinn nicht mehr hören kann, lesen will und bei Guido Knopp die DVB-S-Karte aus dem Rechner rupft, sei auf Schritte zur Abrüstung verwiesen.

Achja, fast hätte ich die Computer vergessen. 20 Jahre wird die Networld + Interop alt, die am Dienstag schlicht als Interop 2005 in Las Vegas ihre Pforten öffnet. Mit Voice over IP steht SIP, das Session Initiation Protocol, im Mitelpunkt der Show, das auch für direkte Multimedia-Kommunikation zwischen den Handys zuständig ist, wenn die Version 5 des 3GPP-Standards verabschiedet wird. Wie heißt es bei den Interop-Veranstaltern so schön: "Die Tastaturen sind gestern. Filmen ist morgen. Das Video-Bloggen wird das Bloggen ablösen." Recht haben sie, Tippen ist viel zu mühselig, erst recht, wenn man sich gleichzeitig den Witz aus den Fingern saugen soll. Danke fürs Lesen. Auch das macht Mühe und sollte gefälligst interaktiver sein. (Hal Faber) / (jk)