Echtzeitdaten: Die Deutsche Bahn weiß nicht, wo ihre Züge stecken

Echtzeitdaten zu Zugverspätungen werden teilweise immer noch nicht zwischen europäischen Nachbarländern ausgetauscht. Dabei gäbe es eine ganz einfache Lösung.

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ICE

Wo fährt er denn?

(Bild: dpa, Jan Woitas/dpa-Zentralbild/dpa)

Lesezeit: 4 Min.

Kürzlich bin ich mit der Bahn von Kopenhagen nach Hamburg gefahren. Der EC 399 fuhr schon in Kopenhagen mit mehr als einer Stunde Verspätung ab. Der DB-Navigator wusste aber nichts davon. Er wähnte den Zug schon knapp 270 Kilometer weiter in Odense, als er noch nicht einmal in Kopenhagen abgefahren war. Erst, als der Zug eigentlich in Deutschland hätte ankommen sollen, zeigte die App endlich Echtzeitdaten an. Zu diesem Zeitpunkt war die Verspätung schon seit mindestens dreieinhalb Stunden bekannt. Hätte man rechtzeitig eine Brieftaube nach Schleswig geschickt (ca. 200 Kilometer Luftlinie), hätten die Bahngäste deutlich früher gewarnt werden können.

Kann es tatsächlich sein, dass im Jahr 2024 noch immer keine Echtzeit-Daten zwischen allen europäischen Nachbarländern ausgetauscht werden? Genauso ist es, bestätigt die Bahn: "Mit vielen europäischen Bahnen gibt es bereits Kooperationen für den Austausch von Echtzeitdaten (u. a. ÖBB, SBB, SNCF)", teilte mir eine Bahnsprecherin mit. "Die dänische Bahn gehört hier tatsächlich noch nicht dazu. Wir sind aber mit den entsprechenden Partnern im Austausch, um weitere Daten zu integrieren." Die besondere Ironie dabei: Die dänischen Echtzeit-Daten sind öffentlich zugänglich, beispielsweise über Webseiten wie zugfinder.net. Nur eben nicht über das System der Deutschen Bahn.

Der Journalist und Verkehrsaktivist Jon Worth, der sich wie kein Zweiter mit dem grenzüberschreitenden Bahnverkehr in Europa auskennt, erlebt dieses Problem regelmäßig: "An den Grenzen zu Tschechien und Österreich ist es dasselbe." Es gebe zwar ein System zum Austausch von Echtzeitdaten zwischen den mitteleuropäischen Eisenbahnen. "Aber in den letzten 12 Monaten habe ich nie gesehen, dass es richtig funktioniert."

Das Kommunikationschaos kann mitunter absurde Ausmaße annehmen, wie ich letzten Herbst erfahren musste. Einen Tag vor der Rückfahrt aus Südtirol bekam ich eine automatisch generierte Mail von der Deutschen Bahn, dass es mit der Verbindung irgendwelche Probleme gebe. Nur: Nirgendwo war herauszufinden, bei welchem Zug denn nun – von Brixen nach München oder von München nach Hannover? Nicht einmal die DB-Hotline wusste es. Alles in Ordnung, hieß es dort, vielleicht habe es nur irgendwo eine Gleisänderungen gegeben. Am nächsten Morgen dann – Überraschung! Der Zug nach München fällt komplett aus.

Irgendein Informationsatom hatte es also offenbar durch das System von Italien nach Deutschland geschafft und dort eine automatische Mail getriggert. Aber die genaue Ursache war nicht einmal für die Hotline zu ergründen.

Was genau daran so schwierig ist, ein paar Bit regelmäßig von einem System in ein anderes zu schubsen? Wahrscheinlich wieder der übliche Verhau aus Befindlichkeiten, Bürokratie, Standardisierungsfragen und Gleichgültigkeit. Doch das ist alles keine Entschuldigung dafür, dass die Deutsche Bahn nicht weiß, wo ihre eigenen Züge stecken – auch nicht, wenn sie im Ausland sind. Praktisch jedes noch so abgerockte Leihrad wird via GPS zuverlässig getrackt. Das sollte doch auch mit kompletten Zügen funktionieren – zumindest, wenn es sich wie beim EC 399 um Bahn-eigene Züge handelt, die im Ausland unterwegs sind. Dazu würde schon ein altes Smartphone an Bord reichen, das regelmäßig seine Position durchgibt.

Ein Kommentar von Gregor Honsel

Gregor Honsel ist seit 2006 TR-Redakteur. Er glaubt, dass viele komplexe Probleme einfache, leichtverständliche, aber falsche Lösungen haben.

"Aber die Genauigkeit! Aber die Hacker! Aber die Tunnel! Aber die Funklöcher!", schallt es mir an dieser Stelle wahrscheinlich entgegen. "Zu einer ordentlichen Bahn-Infrastruktur gehören Balisen, Tests, Zertifikate, Standards, Protokolle, Gesetze, Gremien, Verträge!"

Das mag für sicherheitskritische Funktionen tatsächlich so sein. Aber in diesem Fall geht es nicht um Sicherheit, sondern um Service. Hier wäre eine Quick-and-Dirty-Lösung allemal besser als gar keine. Mag ja sein, dass GPS & Co mal um zehn Meter danebenliegen. Bei meiner Fahrt durch Dänemark lag die Bahn-App aber mehr als hundert Kilometer daneben. Es kann doch nicht sein, dass die Tiers, Limes und Bolts dieser Welt besser über ihre Flotten Bescheid wissen als der riesige Bahn-Konzern.

(grh)